Deutsch und Deutsch

Nicht nur alte(rnde) weiße Männer wie mich scheint es zu stören, dass wir uns einer Sprache bedienen sollen, die keine ist: Auch alte(rnde) weiße Frauen – wie Elke Heidenreich – haben damit ihre Schwierigkeiten.

Wer an der Vergabe von Ausbildungsplätzen beteiligt ist, weiß, dass Elke Heidenreich recht hat: Diese Generation beherrscht die deutsche Sprache nicht. Es mangelt ihr an dem Verständnis, dass die an Emoticons gebildete Sprache geschäftliche Sachverhalte nicht vermitteln kann. Möglicherweise liegt die Ursache darin, dass Papier sich nicht „zoomen“ lässt. Vlleicht aber erlernt sich richtiges Deutsch nur, wenn man ein Buch auch mit den Händen begreift, statt auf dem Smartphone Texte einfach (weg)wischt.

Elke Heidenreich bezog sich auf die jüngst gewählte Sprecherin der Jungen Grünen, Sarah Lee Heinrich (20), die aber nicht die Einzige bei den Grünen ist, deren Deutsch zu wünschen übrig lässt. Ricarda Lang (27), seit 2019 stellvertrende Bundesvorsitzende und frauenpolitische Sprecherin (sic!) der Partei Bündnis 90/Die Grünen, wird mit folgenden Worten zitiert: „Twitter lädt sehr zu Empörung und Unerbarmlichkeit ein, ich war da bestimmt auch selbst schon Teil von.“

Es wäre sicher sexistisch zu sagen, dass diese Art zu sprechen bei Mädchen doch irgendwie süß ist, zumal sich diese Nachsicht mit dem Alter verringert. Wie wäre die Hoffnung, sie würden, wenn auch nicht mit 27 Jahren oder nach fast drei Jahren als Sprecherin von irgendetwas, in wenigen Jahren Deutsch sprechen lernen? Ich versuche es mal so: Mensch, (also auch Frau im Bündnis 90/Die Grünen), es täte dir gut, ein Buch zu lesen – ein gebundenes, schwer in der Hand liegendes …

Politik und Gesellschaft

Konfrontation oder Schweigen?

Mich machen die Themen, die öffentlich breit diskutiert werden, stumm. Das liegt daran, dass ich nicht die Gefühle und Gedanken habe, die gesellschaftlich akzeptiert sind und deren Äußerung von jedem erwartet wird.

Vor ein paar Wochen wurde der Tod von Flutopfern mit Trauer, Bestürzung und anderen Gefühlsäußerungen kommentiert. Ich hatte diese Gefühle nicht: Wie alle war ich neugierig und wollte Genaueres wissen. Ob 200 Menschen ertrunken sind oder ob dieselben Menschen an Herzinfarkten, Krebs oder nach einem Verkehrsunfall sterben, lässt mich nur dann etwas empfinden, wenn ich die Menschen kenne (im weitesten Sinne). Beim Tod fremder Menschen, deren Name ich noch nicht einmal weiß, fühle ich auch keinen Verlust.

Ich habe ein sehr nüchternes Verhältnis zu Sterben und Tod. Es ist nun einmal ein Naturgesetz, dass alles Irdische vergeht. Menschen sind sterblich, also sterben sie. Ich bin sterblich, also werde auch ich sterben. Darüber kann ich nicht klagen. Leben ist kostbar, aber nicht zu erhalten.

Wenn ich Worte wie „Leben retten“, „überlebt“ usw. in den Nachrichten höre, verdrehe ich die Augen: Nein, kein Leben ist gerettet – keiner überlebt – jeder wird sterben.

Offen gestanden, kann ich noch nicht einmal mehr diese Corona-Hysterie begreifen. Wenn die Population einer Art völlig außer Kontrolle gerät, gelten Naturgesetze: Die Zahl der Fressfeinde wächst, die Nahrung wird knapp, tödliche Krankheiten verbreiten sich usw. Mir scheint, meine Mitmenschen sind verwundert, dass die Natur den Menschen wie jede andere Art (vielleicht sogar wie Mäuse oder Ratten) behandelt, und reagieren mit einem Kampf gegen die Natur. Unsere Fressfeinde haben wir so weit ausgerottet, dass sie kaum noch ins Gewicht fallen. Wir bekämpfen den „Hunger in der Welt“. Ist es nicht erstaunlich, dass dieselben Menschen, die den Kampf gegen Corona mit allen Mitteln (Eindämmungsmaßnahmen, Impfungen, Ungleichbehandlung, wenn nicht gar Verunglimpfungen von „Impfverweigerern“ etc.) aufnehmen und unterstützen, sich für Natur- und Klimaschutz einzusetzen vorgeben? Mir scheint, sie wollen ihren Lebensstil aufrecht erhalten, indem sie weiterhin auf die technischen Möglichkeiten und menschlichen Fähigkeiten setzen, und bemerken gar nicht, dass uns das zur Überbevölkerung gebracht hat. Es kommt ihnen wohl wirklich nicht in den Sinn, sich zurückzulehnen und der Natur ihren freien Lauf zu lassen. Bei der geringen Letalitätsrate von Corona ist die Art Mensch nicht einmal ansatzweise in Gefahr auszusterben – es geht also vor allem darum, die Überpopulation des Menschen zu erhalten …

„Afghanistan“ ist ein ähnliches Thema: Die Welt scheint nur dann in Ordnung zu sein, wenn wir dafür sorgen, dass die Welt nach Deutschland kommt, zumindest ins westliche Europa oder Nordamerika. Natürlich hatte auch ich gehofft, dass der Jahrzehnte lange Versuch, Afghanistan zu demokratisieren, mehr Früchte getragen hätte. Müssten wir uns nicht mit der – doch auch nicht ganz unerwarteten – Situation konfrontieren, dass das, was schon vor dem Einmarsch sowjet-russischer Truppen begann, sich nun vollendet? Die Erkenntnis kann doch nur lauten: Freiheit lässt sich nicht schenken, sie muss errungen werden – ob friedlich oder kämpferisch, hängt von den betroffenen Menschen und den Verhältnissen ab. Jetzt fliegen wir genau die Menschen aus Afghanistan aus, die diesen Kampf führen könnten. Es geht mir nicht darum, dass die Flüchtlinge im Kampf sterben sollen, sondern um die schlichte Feststellung, dass sie sterben werden und dass ihr anderer Tod in Deutschland, Frankreich, Großbritannien oder in den USA der Taliban nicht die Macht kosten wird, sondern sie ideologisch auch noch unterstützt: Wie es der SED zum Erhalt ihrer Macht beim Bau der Mauer als Argument diente, dass sich Fachkräfte in den Westen aufmachten, werden die Taliban behaupten, der ruinierte Zustand Afghanistans sei den Truppen Ungläubiger und den mit ihnen verbundenen Flüchtlingen als Verräter am eigenen Staat geschuldet.

Ein Leben – lang und erfüllt -, wer wünscht sich das nicht? Das ist aber kein Naturgesetz. Wenn am Ende der Corona-Eindämmungsmaßnahmen meine Mitmenschen aufatmen, dass sie endlich wieder shoppen, reisen, in Kneipen gehen können, dann kann ich mein Unverständnis über sie nur andeuten. Ich habe mir in Gesprächen so häufig den Mund verbrannt und mich als herzlos oder gefühlskalt bezeichnen lassen müssen, dass ich mich frage, ob wir uns mit den richtigen Dingen konfrontieren oder ob wir darüber hinweggehen, indem wir Gefühle und Gedanken in der gesellschaftlich akzeptierten Weise äußern, die zumindest ich bei genauerer Betrachtung gar nicht habe. Wenn ich recht hätte, würde uns unser gesellschaftlich akzeptiertes Verhalten krank machen, oder?

Die öffentlichen Diskussionen gefallen mir nicht. Empörung über eine Äußerung oder ein Verhalten, das nicht genehmigt ist, wird an die Stelle inhaltlicher Auseinandersetzung gesetzt. Man stelle sich mal vor, Ingeborg Bachmann würde heute dem Menschen die Wahrheit zumuten wollen und erklären, es sei Aufgabe des Dichters, dem Menschen die Augen zu öffnen – sie würde einen „Shitstorm“ ernten, weil sie ihre Rede zur Verleihung des Hörspielpreises der Kriegsblinden hielt und man einem Blinden doch nicht sagen kann, man wolle ihm die Augen öffnen. Und dann ist da die Frage: Darf man noch „Blinder“ sagen oder heißt es SehloserIn?

Ich kann nur verstummen, weil ich die Gefühle und Gedanken nicht habe, die öffentlich gefordert werden. Mir gefällt das gesellschaftlich Akzeptierte nicht. Und ganz ehrlich: Ich kann noch nicht einmal die Sprache leiden, in der ich diese akzeptierten falschen Gefühle und Gedanken auch noch kleiden soll.

Mehr Gesellschaft und Politik

William, Werner und 600 Babyleichen

1150 wurde die Legende des William von Norwich aufgeschrieben. Der Zwölfjährige war 1144 ermordet aufgefunden worden. Aufgrund einer Vision von Williams Mutter wurden Juden des Ritualmords beschuldigt. Klage wurde zwar nicht erhoben, aber immerhin eine Kapelle errichtet: Man wollte von den Wallfahrern profitieren, die an die Wunder am Grab des jungen Märtyrers glaubten.

Über 100 Jahre später wurde der ungeklärte Tod des 16jährigen Werner von Oberwesel zum Anlass für Judenverfolgungen genommen. Dem „heiligen“ Märtyrer wurden ebenfalls Kapellen geweiht.

Auch von Anderl von Rinn glaubte man ab dem 17. Jahrhundert, er sei 1462 Opfer eines jüdischen Ritualmordes geworden.

Im 21. Jahrhundert wissen wir es natürlich besser. Darum sagen wir auch nicht mehr so deutlich, dass für Ritualmorde Juden verantwortlich seien. Aber Ritualmorde an sich? Da scheint es doch irgendwie möglich, dass eine Elite aus Politik und Wirtschaft die Welt beherrscht und Ritualmorde begeht (wie die Juden?), um an das Kinderblut heranzukommen. Wir nennen so etwas selbstverständlich nicht mehr „Aberglaube“, sondern „Fake News“, aber populär scheint die Legende vom Ritualmord nach wie vor. Wie kann man sich sonst erklären, dass die Nachricht, 600 Babyleichen wären in den bundesdeutschen Fluten herumgeschwommen, um die ganze Welt geht?

In Abwandlung eines Filmzitats („Der Löwe im Winer“) darf man wohl festhalten: „Wir haben alle Messer. Es ist 2021 und wir sind alle Barbaren.“

Allerdings: Ich habe mir keine der im Artikel genannten Seiten angesehen, vielleicht ist die Nachricht über die Falschmeldung selbst eine …

Mehr Politik und Gesellschaft

Beamte besolden oder lieber nicht?

Es ist eine Sache, sich über Beamte lustig zu machen, aber was wären wir ohne Polizei und Feuerwehr, ohne Schule oder Justiz – selbst Finanzbeamte werden einem sympathisch, fällt die Steuererstattung höher aus, als ein online-Rechner es vermuten ließ.

Das Bundesverfassungsgericht (BVerfG) hat am 04.05.2020 über die Besoldung der Richter und Staatsanwälte in Berlin für die Jahre 2009 bis 2015 entschieden, dass eine „Gesamtschau der für die Bestimmung der Besoldungshöhe maßgeblichen Parameter ergibt, dass die gewährte Besoldung evident unzureichend war“ (Entscheidung und Pressemitteilung).

Es ist nichts Neues für den rotrotgrünen Senat in Berlin, vor dem Bundesverfassungsgericht zu verlieren (auch wenn der jetzige Senat die fehlerhafte Besoldung in den Jahren 2009 bis 2015 nicht selbst zu vertreten hat, so hat er es doch auf die Entscheidung des BVerfG ankommen lassen). Wenn das BVerfG aber schon feststellt, dass die Besoldung der Richter und Staatsanwälte verfassungswidrig war, sollte man doch meinen, dass nun alle Richter und Staatsanwälte gleich behandelt würden und alle, die zu wenig bekommen haben, die Nachzahlung auch erhielten.

Der rotrotgrüne Senat ist cleverer. Stets auf der Suche nach dem nächsten Schnäppchen, stets fündig. Schließlich will man den Haushalt nicht noch mehr belasten, nachdem sich das Abgeordnetenhaus 2019 deftige Diätenerhöhungen geleistet hat.

Im Richterbesoldungsreparaturgesetz (RBes2009/15RepG BE) wird in § 1 der Anwendungsbereich festgelegt. Eine Nachzahlung erhalten die Kläger der Ausgangsverfahren, die zur Entscheidung des BVerfG geführt haben. Weiterhin bekommen nur die Richter und Staatsanwälte eine Nachzahlung, die der Besoldung widersprochen haben, wenn der Widerspruch oder die Klage nicht rechtskräftig geworden sind. Da das Verwaltungsgericht Berlin und das Oberverwaltungsgericht Berlin-Brandenburg die niedrigere Besoldung bestätigt haben, müssen also Richter und Staatsanwälte mindestens Revision zum Bundesverwaltungsgericht eingelegt haben. Wer hoffte, von einer grundlegenden Entscheidung zu profitieren, sieht sich vom rotrotgrünen Senat getäuscht – er hätte eben so lange streiten müssen, bis er den Dunstkreis der Berliner Staatsgewalten endgültig verlässt. Die Zahl der Richter und Staatsanwälte, die vom Reparaturgesetz profitieren, ist aufgrund des eingeschränkten Anwendungsbereichs also überschaubar.

In ihren Stellungnahmen zum Reparaturgesetz hatten der Deutsche Beamtenbund und der Deutsche Gewerkschaftsbund bereits darauf hingewiesen, dass noch Verfahren von Beamten der Besoldungsgruppe A anhängig seien. Es ist zwar möglich, doch sehr unwahrscheinlich, dass das BVerfG für sie eine andere Entscheidung treffen wird. Wie das Reparaturgesetz für diese Fälle – gerade für Beamte des unteren Dienstes – aussehen wird, kann man sich leicht vorstellen. Tja, wer das Geld für Gerichtsverfahren bis zum BVerfG nicht ausgeben will, hat eben Pech. Wozu ist man in Berlin Beamter, wenn man nicht gegen seinen Dienstherrn klagt? Der rotrotgrüne Senat benimmt sich wie der schlimmste Unternehmer: Es geht nicht um Menschen, sondern um „Humankapital“ und dafür will sowohl der eine als auch der andere so wenig wie möglich ausgeben. Sollte ein Arbeitgeber / Dienstherr so seine Arbeitnehmer / Beamte behandeln?

Es ist eine Sache, über Beamte Witze zu machen. Schnäppchenjagd hat seinen Preis: Wenn ein Dienstherr wie das Land Berlin seine Beamten so behandelt, dann verabschiedet sich aus der Bundeshauptstadt, wer in einem anderen Bundesland oder gar im Bund mehr verdienen kann. Das sind nicht nur Finanzbeamte, sondern Polizisten, Lehrer, Rechtspfleger usw. Irgendwie wundert es mich nicht, dass der Senat keine Ingenieure findet und über „Zulagen“ nachdenkt. Diese Boni dürften wenig taugen angesichts der Tatsache, dass man angemessene Entlohnung durch den Berliner Senat bis zum Bundesverfassungsgericht einklagen muss …

Mehr Politik und Gesellschaft

Juden wieder mit Stern?

Auf der Homepage des Otto-Suhr-Instituts für Politikwissenschaft der Freien Universität Berlin heißt es zum Projekt Ihnestr. 22 : „Insbesondere Sinti*zze und Rom*nja, Jüdinnen*Juden, Schwarze Personen und behinderte Menschen fielen den Arbeiten des KWI-A zum Opfer.“

Vielleicht sollte das Otto-Suhr-Institut den Zentralrat der Juden in Deutschland und den Zentralrat Deutscher Sinti und Roma anschreiben und um Ergänzung ihrer Eigenbezeichnungen mit Sternen bitten – sie müssen ja nicht gleich Farben wie gelb oder braun benutzen, ein schwarzer Stern für beide Minderheiten tut es erst einmal auch. Ach was, es muss noch nicht einmal ein ganzer Stern sein, fürs Erste reicht ein Dreieck.

Ich könnte auch noch böser fragen: Genderterror geht über Leichen?

Wahrscheinlich ist das beim Otto-Suhr-Institut keinem Menschen aufgefallen, weil alle ihren Doktortitel dort erworben haben oder zu erwerben gedenken.

Mehr Gesellschaft und Politik

Glauben heißt nicht wissen

Wenn ich über Glauben und Wissen rede, dann denken Viele an einen Gegensatz. Für mich ist das eine die Ergänzung zum anderen. Ich vergleiche glauben und wissen gerne mit gehen und laufen. Natürlich kann man nicht gleichzeitig gehen, wenn man läuft. Aber ich kann gehen und ich kann laufen; ich kann sogar entscheiden, ob ich gehe oder laufe. Wer nur geht, bleibt nicht auf dem Laufenden, wer nur läuft, dem entgeht etwas. Mein Glaube ist eine andere Möglichkeit, ein Problem zu bewältigen, wozu mein Wissen nicht ausreicht – oder eben auch umgekehrt.

Mich beschleicht bei Menschen, die felsenfest überzeugt sind, ihre Forderungen beruhten auf Wissen, das Gefühl, das sie sich irren. Früher wandten sich alle Menschen mit ihrem „Gib, gib, gib!“ an den lieben Gott, heute wenden sich die Bürger an Vater Staat mit demselben „Gib, gib, gib!“.

Das kann mit Geld zu tun haben: Treibstoff soll wegen des CO2-Ausstoßes teurer werden, schon erhebt sich der Anspruch an den Staat, für Ärmere einen Ausgleich zu schaffen. Die Schadstoffe sind aber doch nicht weniger schädlich, weil der Staat das Benzin bezahlt. Die Forderung kann nichts mit Wissen zu tun haben, sondern nur mit dem Glauben, jeder müsse ein Auto fahren dürfen.

Ansprüche können auch mit dem Gefühl zu tun haben: In der Pandemie waren wir alle auf unser engstes Leben geworfen. Das muss für Viele eine so schreckliche Erkenntnis über sich gewesen sein, dass sie „endlich“ das Ende der Eindämmungsmaßnahmen fordern, um wieder uneingeschränkt shoppen, reisen und feiern zu können. Dieser Anspruch scheint nur auf Wissen gegründet, denn die Pandemie ist nicht beendet und wir wissen inzwischen aus eigener Erfahrung, was den Lockerungen folgt. Für mich ist dieses „Gib Freiheit“ tatsächlich der Glaube, dass das Leben vor den Einschränkungen „normal“ gewesen sei und Shoppen, Reisen und Feiern zum Leben dazu gehörten. Die Mehrheit der Weltbevölkerung würde dem widersprechen, denn ihr Leben ist nicht so geprägt.

Mich wundert besonders, dass die Menschen meinen, der Staat könne ihre Wünsche erfüllen. Der Staat äußert sich ausschließlich in Rechtsetzung (Legislative), Rechtsprechung (Judikative) und Rechtsanwendung (Exekutive). Es ist nicht möglich, dass jemand per Gesetz oder Urteil oder Verwaltungsakt ein gutes Leben hat. Ein Grundrecht auf Shoppen, Reisen und Feiern oder auf „Bloß weg von mir und meinem Leben ohne …“ gibt es nicht. Mir scheint, den Staat als Ansprechpartner seiner Ansprüche zu sehen, nicht weniger gläubig, als sich an Gott zu wenden.

Was heißt schon Wissen? Vor der Spätantike, als die Menschen noch an viele Götter glaubten, wussten sie, dass die Erde eine Scheibe ist. Heute wissen viele meiner Mitbürger, dass die Erde eine Kugel ist. Aber die Erde ist weder Scheibe noch Kugel, wenn wir uns bei Wikipedia schlauer machen, um die Erdfigur zu ermitteln. Keine Scheibe, keine Kugel und sie dreht sich doch.

Sind wir möglicherweise leichtgläubiger als Menschen vergangener Zeiten? Im Mittelalter musste sich das Wissen dem Glauben unterordnen, viele bezeichen diese Zeit immer noch als „finsteres Mittelalter“, aber war es wirklich finsterer als heute? Wäre es wirklich möglich, dass viele unserer Ansprüche, die wir an den Staat stellen, zwar gut begründet sind, aber doch nicht auf Wissen, sondern auf Glaube beruhen? Das wäre auch kein Problem, wenn wir uns dessen bewusst wären, sobald wir einen Anspruch erheben oder unterstützen.

PS: Sollte ich mich nicht so klar ausgedrückt haben, mag das daran liegen, das über mir eine fette Spinne an der Decke sitzt, und ich immer wieder einen Blick nach oben werfe, ob sie sich auf meinen herzförmigen Haaransatz oder in meine Teetasse abseilt (jetzt kann ich nicht entscheiden, was schlimmer wäre … lieber Gott, lass sie den Aschenbecher treffen!)

Mehr Gesellschaft und Politik

Es geht ums Geschlecht

Die SPD Sachsen hat auf ihrem letzten Landesparteitag viele Anträge bearbeitet. Beschlossen wurde auch, dass „mentstruierende Männer“ ihre Hygieneprodukte auf öffentlichen Männertoiletten entsorgen können müssen („Nicht-binäre Toilettenausstattung“). Ich musste mich erst einmal erkundigen, was damit gemeint ist: Menschen, die sich als Männer in einem Frauenkörper wahrnehmen, gehen nicht auf die Damen-, sondern auf die Herrentoilette und suchen dort vergeblich nach einer Möglichkeit, Binden und Tampons, die sie als Männer eigentlich nicht benötigen, entsorgen zu können.

Ich will nicht so tun, als hätte ich nicht gelacht und als würde ich nicht doch den einen oder anderen Witz reißen wollen. Es ist auch nicht so, dass es nur diese Art von Anträgen auf dem Parteitag der SPD Sachsen gegeben hätte. Statt nach dem Sinn und Unsinn des Antrags frage ich mich, ob wir von den Gender-Theoretikern und deren politischen Arm langsam, aber sicher in eine wissenschaftlich begründete Körperfeindlichkeit getrieben werden.

Der Gang zur Toilette dient der Befriedigung eines körperlichen Bedürfnisses, der Entsorgung der Verdauungsendprodukte. Dass Damentoiletten nicht über Urinale verfügen, dürfte dem Umstand geschuldet sein, dass Frauen sie nicht (oder nicht ohne Hilfsmittel) verwenden können. Die Rohrleitungen sind eben anders verlegt. Niemand geht aufs Klo, weil’s männlich oder weiblich ist, aufs Klo zu gehen – wer aufs Klo geht, muss mal unabhängig von seinem Geschlecht oder seinen eigenen Überlegungen und Empfindungen über das eigene (Nicht-)Geschlecht – bis diese Überlegungen zu Ende gebracht sind, wäre der Darm schon geplatzt …

Man kann sicher trefflich darüber streiten, ob eine Trennung nach Geschlechtern gerechtfertigt ist. Vielleicht gefällt es Frauen, wenn sie an Männern, die vor Urinalen stehen, vorbeigehen, vielleicht gefällt das auch den Männern. Dann spricht Vieles dafür, Unisex-Toiletten zu fordern. Man kann auch drei Toiletten anbieten: Damen, Herren, Sonstige. Ob ein, zwei oder drei Toiletten – der Service bleibt derselbe: Körperliche – nicht seelische – Ausscheidungen zu entsorgen.

Ich will nicht bestreiten, dass die Gender-Theorie Erklärungen liefert, die die Naturwissenschaft nicht geben kann. Neben dem körperlichen Geschlecht (Sex) ein soziales Geschlecht (Gender) anzunehmen, kann aber nur so lange gut sein, als es entweder die gesellschaftliche Entwicklung (also das Miteinander) fördert oder sich nicht in einen Gegensatz zu Erkenntnissen der Naturwissenschaften (insbesondere der Genforschung) setzt. Über das Letztere kann ich nicht urteilen, das Erstere nicht erkennen.

Nun, ich bin schwul und erfreue mich am männlichen Geschlecht. An „menstruierenden Männern“ erfreue ich mich nicht. Mein Geschlechtsleben ist definitiv körperlich geprägt. Es gehört zu meinem Leben aus Körper und Geist dazu, nur darum lebe ich mit einem Mann zusammen.

Damit hat es sich dann auch: Ich arbeite in einem typischen Frauenberuf und habe für Anwältinnen und Notarinnen gearbeitet, auch für eine Bundestagsabgeordnete. Ich spreche mit Frauen wie mit Männern. Ich lese Bücher von Frauen und Männern über Frauen und Männer. Ich sehe Filme von Frauen und Männern über Frauen und Männer. Und die Arie eines Bass kann mich genau so reizen wie Soprankoloraturen.

Für mich ist eine Seele nicht männlich oder weiblich, sie hat keine Herkunft (deutsch, türkisch, koreanisch), sie hat keinen sozialen Stand (Bankier oder Obdachloser). Jede Seele hat dieselben Eigenschaften und unterscheidet sich von einer anderen nur dadurch, dass die Eigenschaften unterschiedlich ausgeprägt sind. Ich habe heterosexuelle Frauen in Frauenkörpern kennengelernt, deren Verhalten als „Typisch Mann“ zu bezeichnen ist. Es gibt heterosexuelle Männer in Männerkörpern, die mich an meiner Unterscheidungskraft zwische hetero und homo zweifeln lassen.

Körperfeindlich wird die Gender-Theorie, weil die mentale Selbstwahrnehmung (was ich eben als Seele oder Geist bezeichne) den Körper beherrschen soll. Wer von Geschlechtsumwandlung spricht, meint, dass der Körper (Sex) dem selbst wahrgenommenen Geschlecht (Gender) angepasst wird. Ich habe nicht recherchiert, aber ich vermute, dass der umgekehrte Weg, das Gender an den Sex anzupassen, die psychische Person an deren physisches Ich anzugleichen, heftig kritisiert würde. Wir sind uns aber alle einig, dass Magersüchtige eine Störung der Selbstwahrnehmung haben, die unter psychologischer Hilfe der Korrektur bedarf. Mir scheint, die Einteilung, was noch im Rahmen psychischer Gesundheit und außerhalb dessen als Störung der eigenen Wahrnehmung bezeichnet wird, ist noch nicht sehr einheitlich, gleichwohl unternehmen Vertreter der Gender-Theorie alles, um das biologische als das dem Gender untergeordnete Geschlecht zu betrachten, den Staat zu einer entsprechenden Gesetzgebung und Rechtsprechung zu treiben und die Meinung der Gesellschaft darüber zu beherrschen, sodass Kritik im Keim erstickt wird – die eigene Wahrnehmung der Betroffenen ist wichtiger und sie ist (aber eben genau wie bei Magersüchtigen) darauf angelegt, den Körper unterzuordnen.

Mir fällt gerade ein, ob dieses Missverhältnis zum eigenen Körper auch die Prüderie vorantreibt, die nach meiner Meinung immer weiter um sich greift: Seelischer Striptease wird bejubelt, Darstellungen von männlichen oder weiblichen Geschlechtsorganen (und sei es nur die halbe Brustwarze einer Frau) werden immer häufiger als „unangemessen“ verboten. Kein Wunder, dass sich Pubertierende – jeden Alters – als Ventil in eine Übersexualisierung hineinsteigern.

JEDENFALLS: Wäre ich eine Frau in einem Frauenkörper, dann würde ich jedem, der es wagte, mein Ich aus Geist und Körper auf eine bloße Körperfunktion zu reduzieren („Menstruationshintergrund“), mit allem mir dann zur Verfügung stehenden weiblichen Charme eine knallen.

Mehr Gesellschaft und Politik

„Die Kultur stirbt“ oder auch nicht?

Die Veranstaltungen sind abgesagt, die Kinos, Theater, Museen usw. sind geschlossen. Demonstranten trugen Schilder „Die Kultur stirbt“. Mal abgesehen davon, dass sich diese Übertreibung doch ein bisschen nach „Untergang des Abendlandes“ anhört, und ich mich frage, ob den Kreativen nicht etwas Besseres hätte einfallen können, scheint mir das Echo in der Bevölkerung doch recht leise – besonders was die vorübergehende Schließung von Theatern angeht.

Das mag daran liegen, dass die Zahl der Theaterbesuche von 2000 bis 2018 von 20 Mio. auf 18,3 Mio. sank, während die Zahl der Spielstätten im gleichen Zeitraum von 731 auf 807 gestiegen ist* – weniger Besucher verteilen sich auf mehr Theater.

Natürlich wird jeder auch das Theater nennen, wenn er nach „Kutlur“ an seinem Ort gefragt wird. Die Erfahrung aber lehrt uns doch, dass zwischen der Forderung nach Erhalt eines Theaters und der persönlichen Aufwendung für den Unterhalt des Theaters der Preis für eine Eintrittskarte steht, der ungern bezahlt wird.

Ich gehöre zu denjenigen, die ihre Theater- (und Opern)besuche vor Jahren endgültig aufgegeben haben. Die alten Witze waren nicht mehr nur unbegründet, sondern Theater- und schließlich auch Opernbesuche schienen sie jedes Mal zu bestätigen: „Ist auch noch die vierte Aufführung ausverkauft, taugt die Inszenierung nichts.“ – „Wenn das Publikum nicht buht, hat der Regisseur das Ziel verfehlt.“ – „Ein Schauspieler, der verständlich brüllt, gehört nicht auf die Bühne.“ – „Kunst für die Kunstkritiker.“

Mein Grund ist ganz persönlich: Ich hatte nicht mehr den Nerv, mich als Teil des Publikums ständig beleidigen zu lassen; da war unverhohlen zur Schau gestellte Verachtung für das zahlende Publikum und die Erkenntnis, dass ich unabhängig vom Theater oder Stück dasselbe pseudo-moderne Einerlei vorgesetzt bekam.

So schonungslos uns die Regisseure und Schauspieler in ihren Inszenierungen behandeln („Selbst schuld, wer dafür bezahlt“), so schonungslos scheine ich zusammen mit dem übrigen Publikum auf vorübergehende Theaterschließungen zu reagieren („Selber schuld, wer da arbeitet“).

Selbst wenn die Theater nicht wieder öffnen oder neue Theater nicht gegründet würden, damit stürbe die Kultur noch lange nicht. Die Kulturlandschaft ändert sich, und den Konkurrenzkampf mit dem Film, dem Radio, dem Fernsehen, den Streamingdiensten (und was da noch kommen mag) wird das Theater nur dann überleben, wenn es dem Publikum mehr bietet als die Existenzberechtigung eines Museums konservierter Kulturauffassung. Die jetzige vorübergehende Schließung könnten die Theater dazu benutzen, eigene Wichtigtuereien zu überdenken und das Publikum höher als den Kritiker zu schätzen. Dann würde das Theater vielleicht ein Ort, den man nicht nur nennt, sondern auch besucht.

*Quelle: Öffentlich geförderte Theaterunternehmen, Spielstätten,
Veranstaltungen am Ort, Theaterbesuche: Deutschland, Jahre

Nacthtrag: Als die Finanzkrise 2007 begann, gab es 826 Spielstätten und 18,8 Mio. Theaterbesuche; 2009 am Beginn der Euro-Krise waren es 888 Spielstätten und 19,3 Mio. Theaterbesuche. Seinerzeit konnten die wichtigsten Theater kaum ihre Freude über „das Ende des Kapialismus“ schnell genug auf die Spielpläne bringen. Jetzt klagen sie, um ihre eigenen Wirtschaftsunternehmen zu retten. So klein kann eine Weltanschauung werden.

Ausgangssperren vermeiden oder in Kauf nehmen?

Man kann den Klagen über die Corona-Eindämmungsmaßnahmen kaum entgehen. Deren Begründung ist leicht nachvollziehbar: Studien belegen, dass Corona sich nicht hauptsächlich am Arbeitsplatz und in der Schule, im Restaurant und in der Kneipe, in Kinos und Theater verbreitet.

Warum also Veranstaltungen verbieten, wenn ein Hygienekonzept dafür vorliegt? Warum sollen sich Kinder und Jugendliche in der Schule treffen, nicht jedoch nachmittags in der Wohnung? Warum größere private Zusammenkünfte unterbinden? Warum das Bier zu Hause gestatten, aber nicht in der Öffentlichkeit?

Wenn die Studien richtig sind und man sich nicht an einem ganz bestimmten Ort ansteckt, kann die Ansteckung nur auf dem Weg dorthin (oder von dort) erfolgen. Könnten Menschen mit den Fingern schnippen und wären im selben Augenblick statt auf ihrer Wohnzimmercouch auf ihrem Theater- oder Kinositzplatz, würde wohl niemand auf die Idee kommen, Veranstaltungen zu verhindern.

Es geht also vor allem darum, Menschen an den gewohnten Wanderbewegungen zu hindern. Auf dem Weg ins Restaurant begegnet man nun einmal anderen Menschen, die auf dem Weg in dieses Kino oder in jenes Theater oder ins Fußballstadium sind. Nichts anderes gilt, wenn man jemanden privat besuchen will. Und auch mit dem eigenen Auto kommt man nicht, ohne zu Fuß gehen und anderen begegnen zu müssen, an seinen Opernlogenplatz.

Mit den Corona-Eindämmungsmaßnahmen werden Anreize verhindert, mehr als die notwendigen Gänge (z. B. zur Arbeit, zur Schule, in den Supermarkt) zu unternehmen.

„Bleiben Sie zu Hause“, ist so gesehen, wohl nicht nur ein gut gemeinter Rat der Bundeskanzlerin sondern auch Ausdruck, dass damit Ausgangssperren hoffentlich vermieden werden können.

Möglich ist aber auch, dass die Klagen erst dann aufhören, wenn rigoros Ausgangssperren verhängt würden.