Deutsch und Deutsch

Nicht nur alte(rnde) weiße Männer wie mich scheint es zu stören, dass wir uns einer Sprache bedienen sollen, die keine ist: Auch alte(rnde) weiße Frauen – wie Elke Heidenreich – haben damit ihre Schwierigkeiten.

Wer an der Vergabe von Ausbildungsplätzen beteiligt ist, weiß, dass Elke Heidenreich recht hat: Diese Generation beherrscht die deutsche Sprache nicht. Es mangelt ihr an dem Verständnis, dass die an Emoticons gebildete Sprache geschäftliche Sachverhalte nicht vermitteln kann. Möglicherweise liegt die Ursache darin, dass Papier sich nicht „zoomen“ lässt. Vlleicht aber erlernt sich richtiges Deutsch nur, wenn man ein Buch auch mit den Händen begreift, statt auf dem Smartphone Texte einfach (weg)wischt.

Elke Heidenreich bezog sich auf die jüngst gewählte Sprecherin der Jungen Grünen, Sarah Lee Heinrich (20), die aber nicht die Einzige bei den Grünen ist, deren Deutsch zu wünschen übrig lässt. Ricarda Lang (27), seit 2019 stellvertrende Bundesvorsitzende und frauenpolitische Sprecherin (sic!) der Partei Bündnis 90/Die Grünen, wird mit folgenden Worten zitiert: „Twitter lädt sehr zu Empörung und Unerbarmlichkeit ein, ich war da bestimmt auch selbst schon Teil von.“

Es wäre sicher sexistisch zu sagen, dass diese Art zu sprechen bei Mädchen doch irgendwie süß ist, zumal sich diese Nachsicht mit dem Alter verringert. Wie wäre die Hoffnung, sie würden, wenn auch nicht mit 27 Jahren oder nach fast drei Jahren als Sprecherin von irgendetwas, in wenigen Jahren Deutsch sprechen lernen? Ich versuche es mal so: Mensch, (also auch Frau im Bündnis 90/Die Grünen), es täte dir gut, ein Buch zu lesen – ein gebundenes, schwer in der Hand liegendes …

Politik und Gesellschaft

Kein schöner Land

Im Anschluss an meinen Beitrag „Konfrontation oder Schweigen“ fällt mir der Wahlwerbespot der Partei „Bündnis 90/Die Grünen“ ein, in dem sie „Kein schöner Land“ singen lassen.

Es geht mir nicht um eine kritische Äußerung darüber, ob es mir gefällt oder nicht – jede Partei muss selber wissen, welchen Werbespot sie sendet. Mir geht es um das Lied selbst.

„Nun, Brüder, eine gute Nacht. Der Herr im hohen Himmel wacht! In seiner Güten, uns zu behüten, ist er bedacht.“

Mit dieser – eigentlich der vierten – Strophe des „Abendliedes“ endete in meiner Jugendzeit jedes Lagerfeuer bei der Kolping-Jugend oder der Maria-Fokolar-Bewegung. Die letzte Strophe „Ihr Brüder, wisst, was uns vereint. Eine and’re Sonne hell uns scheint. In ihr wir leben, zu ihr wir streben als die Gemeind“ war wohl zu protestantisch. Bei den Falken fiel die vierte Strophe weg. Nur bei der Evanglischen Landjugend und der Jungen Union wurden alle fünf Strophen gesungen. Es ist einfach ein gutes Lied, um einen Abend zu beenden. Sicher weckt das Lied nicht nur bei mir Erinnerungen an herrliche Zeiten; bei mir waren es eben die, in der ein katholischer Jugendlicher in Ostfriesland alles mitnahm, was er konnte und wollte.

1840 – noch im Biedermeier – wurde das Lied zum ersten Mal veröffentlicht, also in der guten alten Zeit. Die „Karlsbader Beschlüsse“ wirkten: Die Einschränkungen, sich öffentlich politisch bestätigen zu können, förderten Emigration (Heine, Büchner, Marx) und bei den Zurückbleibenden den Rückzug ins Private. Im eigenen Heim ließ sich im Kreis der Familie falschen politischen Gedanken am leichtesten entkommen. Man schwelgte in echten Gefühlen und Rührung. Die Abgründe des eigenen Seins waren – mit ganz wenigen Ausnahmen – nicht Thema biedermeierlicher Künstler.

Ich frage mich: Dass sich Bündnis 90/Die Grünen dieses Lied aussuchen, ist das ein Zufall oder Aussicht auf eine Zukunft unter ihrer Regierung? Eine neue Zeit, die die gute alte ist …

Mehr Politik und Gesellschaft

Wenn man ersetzt, was funktioniert

Bis zur Bundestagswahl sind es noch über zwei Monate, aber mich beschleicht das Gefühl, der Wahlkampf befindet sich in einem Zustand, den andere Wahlkämpfe erst in den letzten Wochen vor dem Wahltag erreichten. Wir sind alle – nicht erst durch die Pandemie – empfindlicher geworden. Vielleicht ist es eine zu persönliche Erfahrung, die ich gar nicht verallgemeinern kann, aber mir scheint, dass wir alle schneller bereit sind, ein Wort als Angriff zu werten oder als Waffe zu benutzen.

Dieser Wahlkampf hat das Besondere, dass Bündnis 90/Die Grünen sich erstmals stark genug fühlen, um eine Kanzlerinkandidatin aufzustellen und ihren Wahlkampf mit Annalena Baerbock zu personalisieren: Nun müssen sich alle Beteiligte – die eigene Partei, die Kandidatin, die Parteimitglieder und -anhänger, aber auch Journalisten und Wähler – an einen anderen Blick auf Bündnis 90/Die Grünen gewöhnen.

Die hohen moralischen Ansprüche, die Bündnis 90/Die Grünen an andere Parteien und Politiker angelegt hat, werden nun auf die eigene Partei und ihre eigene Kandidatin angewandt. Bisher trat die Partei wie eine Menge auf, sodass die Äußerungen einzelner oder Kritik an einzelnen Grünen der Partei selbst nicht schaden konnten. In früheren Wahlkämpfen musste man schon auf Zeitungen zurückgreifen, die sich konsequent als Gegner von Bündnis 90/Die Grünen etabiliert hatten, um harsche Kritik zu finden. Jetzt werden Äußerungen der Kandidatin oder der Partei selbst von wohlwollenden Medien kritisiert. Es wird viel häufiger und mit ernüchterndem Ausgang verglichen, was Bündnis 90/Die Grünen fordern und was sie im Rahmen einer Regierungsbeteiligung tun oder getan haben. Auf die Vergesslichkeit von Journalisten und Wählern kann sich die Partei nicht mehr verlassen.

In diesem Maße ist das für Bündnis 90/Die Grünen ungewohnt. Jede andere Partei ist an ungeschickte Kandidatenäußerungen, Verfehlungen in deren Lebenslauf oder an desaströse Parteistrategien für ihre Kandidaten gewöhnt. Jede andere Partei musste sich mehrmals damit abfinden, dass ihr Kanzlerkandidat knapp oder grandios scheiterte, selbst Kanzler sind in Wahlkämpfen untergegangen, der vermeintliche Bonus des Amtsinhabers reichte nicht Es kann eben immer nur eine oder einer die Wahl gewinnen, die anderen (und das ist die Mehrheit der Kandidaten) eben nicht.

Umfragewerte haben schon viele Parteien in die Irre geführt. Bündnis 90/Die Grünen spüren die Folgen, dass sie geändert haben, was funktionierte: Bisher waren sie anders, jetzt sind sie wie alle. Es scheint sie zu überraschen, dass sie ihre Sonderrolle nicht bewahren können, nachdem sie das Besondere aufgegeben haben.

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